Unsere zwei Lernenden Kim Prinzing (20) und Nicole Wehrli (19), beide im 4. Lehrjahr als Polygrafinnen, konnten innerhalb einer Spezialwoche im Tessin eigene Wabi-Sabis mit passenden Haikus gestalten. Ihr versteht nur Bahnhof? Im Interview klären uns die zwei Lernenden auf!
Hallo ihr zwei. Ihr hattet vor Kurzem eine Vernissage in Zürich, wo eure Wabi-Sabis sowie Haikus ausgestellt wurden. Könnt ihr das Projekt nochmals kurz beschreiben?
Kim: Wabi-Sabi ist ein japanisch ästhetisches Konzept der Wahrehmung und Schönheit. «Wabi» heisst übersetzt elend, einsam, verloren und «Sabi» alt sein, Patina zeigen, über Reife verfügen. Man sieht dabei nicht die Schönheit in einem Sonnenuntergang, sondern in einem unscheinbar bemoosten Felsen, einem leicht verrosteten Teekessel oder das Ritzmuster eines verfallenen Hauses.
Nicole: Haiku ist eine traditionell japanische Gedichtsform. Sie bestehen aus drei Zeilen, die jeweils fünf, sieben und fünf Silben enthalten. Haikus sind konkret und beziehen sich auf die Gegenwart. Ein anderes Merkmal ist, dass sie offen enden oder die Jahreszeiten beschreiben, zudem sollten sie nicht zu «hochgestochene» Ausdrücke enthalten.
Ihr hattet eine Woche Zeit im Tessin um genau ein Foto zu schiessen und dazu den passenden Haiku zu schreiben. War es anfangs schwierig und wie seid ihr vorgegangen?
Kim: Es war schwierig, aber nicht mühsam. Da wir frei waren, brachte Vorplanung nichts. Man musste einfach viel langsamer durch das Leben gehen und gerade unscheinbare, nicht «typisch» schöne Dinge beachten.
Nicole: Ja wir waren ungebunden was das Time-Management anging. Die Fotos zu schiessen war für mich als begeisterte Fotografin keine grosse Sache. Die passenden Haikus zu den Bildern zu schreiben war für mich schwieriger. Da der deutsche Wortschatz aus vielen langen Wörter besteht, war es fast eine Kunst «einfache» Wörter darin zu finden.
Wie hat euch das Projekt gefallen?
Kim: Das Projekt war super! Es ist spezieller und kreativer als der Reiseführer, den man bisher an unserer Schule in dieser Woche erstellt hat.
Nicole: Es hat mir ausgesprochen gut gefallen. Für mich war es eine interessante Arbeit, da ich weder Wabi-Sabi noch Haiku kannte.
Könnt ihr dieses Wissen auch in Zukunft vermehrt praktisch anwenden?
Kim: Sicher in der Fotografie; nicht das offensichtliche Bild schiessen, das jeder Tourist machen könnte, sondern sich Zeit nehmen, verweilen und versuchen, Dinge ästhetisch darzustellen, die man nicht sofort erkennt.
Nicole: Ja auf jeden Fall. Seit diesem Projekt schreibe ich ab und zu sogar ein paar Haikus für mich.
Ich reiste auf einen der vielen Berge, die Locarno umschliessen. Auf dem Gipfel war ein fantastisches Panorama zu sehen. Absichtlich wählte ich dabei weit entfernte, mysteriös vernebelte Berge als Sujet. An einem Holzgeländer waren mehrere Kuhglocken angebracht, und um einen Grössenkontrast zu erzeugen, fotografierte ich diese mit. Nach der Bildauswahl schrieb ich dazu einen passenden Haiku. Ich wollte es direkt auf das Bild beziehen, ihm einen fiktiven Kontext geben.
Ich denke man unterschätzt das Schreiben des Haikus. Der Haiku muss toll klingen, der Inhalt muss stimmen und die korrekte Anzahl Silben enthalten. Gewidmet habe ich ihn niemandem, ich habe mich einfach vom Bild inspirieren lassen. Früher kannte ich zwar die ungefähre Bedeutung der Begriffe, doch wirklich etwas mit diesem Konzept bzw. dieser Denkweise gestalten konnte ich nicht.
Das blau meines Bildes erweckt in mir ein Gefühl des Ausbrechens, nach einer verborgenen Sehnsucht. Dieses Gefühl habe ich dem Zuschauer zu vermitteln versucht. Während des Projektes ergaben sich keine Probleme. Meine Tendenz lag aber darin, die Gedichte immer zu tiefgründig zu gestalten. Meine grösste Schwierigkeit lag also darin, die Haikus nicht zu melancholisch zu formen. Ich denke, dass ich den Haiku für mich geschrieben habe, für ein tieferes Ich, welches die Sehnsucht hat, auszubrechen. Haikus sind normalerweise eher fröhliche Gedichte. Meine Haikus sind aber meist düster, sie helfen mir zum Teil meine schlechten Gedanken zu verarbeiten.
31.10.2017